Der Andachtsraum
In Sitzungswochen geht es im Bundestag hektischer zu als sonst. Von frühmorgens bis spätabends eilen die Abgeordneten durch die Gebäude, immer von einem Termin zum nächsten und nicht selten so unter Zeitdruck, dass manch einer gedanklich schon zur übernächsten Veranstaltung vorausstolpert.
Aber es gibt doch im Reichstagsgebäude, unweit des Plenarsaals, einen Raum, der wenigstens für ein paar Minuten Ruhe und Besinnung ermöglicht: den Andachtsraum. Jeden Donnerstag und Freitag findet hier während der Sitzungswochen um 8.40 Uhr eine christliche Andacht statt, deren Besuch allen im Bundestag Tätigen offensteht. Zum Gebet gerufen wird übrigens immer noch in einer von Konrad Adenauer im Jahr 1949 begründeten Tradition, indem nämlich das auf Band aufgenommene Glockengeläut des Kölner Doms abgespielt wird. Seit den 1960er Jahren ist zwar die Zahl der Andachtsbesucherinnen und -besucher nach und nach von über 120 Abgeordneten auf zehn bis fünfzehn Besucherinnen und Besucher gesunken, die aber eine relativ konstante Gruppe bilden.
Der Andachtsraum steht nicht nur Christinnen und Christen, sondern Abgeordneten jeder (oder auch keiner) Glaubensrichtung offen, was sich auch in der bewusst überkonfessionellen und unaufdringlichen Gestaltung des Raums durch den Künstler Günther Ueker widerspiegelt. Das Holzkreuz auf dem Altar ist nicht festmontiert, sondern kann beiseitegelegt werden, und eine Kante im Boden markiert die Himmelsrichtung von Mekka zur Orientierung für das muslimische Gebet.
Sehr beeindruckend auch: die große Vitrine mit unterschiedlichen Gegenständen verschiedenster Religionen, die im Laufe der Zeit dem Bundestag übergeben wurden: ein tibetischer Gebetsschal, kunstvoll gestaltete Exemplare der Bibel, des Korans, der Torah, Kerzenleuchter. Weil es im Bundestag auch Abgeordnete mit alevitischem Hintergrund gibt, werden in der kommenden Woche im Rahmen einer Zeremonie auch alevitische liturgische Symbole an Bundestagspräsident Lammert übergeben werden.