Am Rande notiert: Regierungsbunker, die es nicht (mehr) gibt
Über den Deutschen Bundestag (wie im Grunde über jedes staatliche Handeln) gibt es im Internet diverse verschwörungstheoretische Spekulationen, die mich immer wieder zum Staunen bringen. Darunter sind bisweilen wahre Meisterwerke der menschlichen Fantasie, erdacht von clownesken Hirnakrobaten, denen keine gedankliche Verrenkung zu schmerzhaft und abwegig ist. Besonders schön ist – finde ich – die Behauptung, es gäbe geheime „Regierungsbunker“ für Regierung und Abgeordnete, sorgfältig vor der steuerzahlenden Öffentlichkeit verborgen, in die sich die volksfernen Politikerinnen und Politiker im Konflikt- und Kriegsfall (wahlweise geführt gegen Russland, China, die USA, Liechtenstein, Bayern, alle zusammen, eigentlich auch egal) zurückziehen können, um das märtyrerhafte Leiden des deutschen Volkes im nuklearen Feuer nicht teilen zu müssen. Neben dem Evergreen vom egoistischen Politiker, der nur sich selbst einen schönen Bunker baut, bietet der „Regierungsbunker“ dem geschickten Verschwörungstheoretiker auch die Möglichkeit, die angebliche Korruption „der“ Politiker „aufzudecken“. Denn natürlich wird der ominöse Bunker aus geschickt verschleierten Steuergeldern bezahlt!
Das Problem ist aber: Es gibt keinen Regierungsbunker (mehr) – nicht in Berlin und auch nicht im Umland.
Es gab einmal einen „Regierungsbunker“ in Bonn, in eleganter Kürze „Ausweichsitz der Verfassungsorgane des Bundes im Krisen- und Verteidigungsfall zur Wahrung derer Funktionstüchtigkeit“ genannt. Dieser war jedoch nur zur Zeit des Kalten Kriegs intakt und hätte, wie 2008 herausgefunden wurde, auch keinen ausreichenden Schutz im Fall eines Nuklearkriegs geboten. Dasselbe galt übrigens für die Mehrzahl der Bunker in Deutschland, weshalb sie heute in anderer Gestalt nutzbar gemacht werden, z.B. als Clubs oder Kulturzentren. Oder aber sie wurden verschlossen, wie auch der riesige „Komplex 5000“ nahe Berlin, das DDR-Pendant zum westlichen „Regierungsbunker“. In diesem unterirdischen Bunkersystem, inklusive Tonstudio, hätte die Regierung der DDR im Fall eines Atomkriegs für 14 Tage Zuflucht suchen können.
Im Jahr 1997 wurde beschlossen, den „Ausweichsitz der Verfassungsorgane des Bundes im Krisen- und Verteidigungsfall zur Wahrung von deren Funktionstüchtigkeit“ zurückzubauen, weshalb momentan kein Ausweichsitz von ähnlicher Konzeption wie der „Regierungsbunker“ existiert. Sowohl der „Komplex 5000“ als auch der „Regierungsbunker“ sind heute Relikte einer Zeit, in der der atomare Ernstfall nicht nur eine permanente Bedrohung darstellte, sondern den Alltag dominierte. Mir zumindest ist es heute lieber so.
Wenngleich das Bedrohungsszenario des Kalten Krieges Geschichte ist, müssen natürlich weiterhin Strategien entwickelt werden, mit denen auf eine potenzielle Krisensituation reagiert werden kann. Das vom Innenministerium erarbeitete und im August 2016 veröffentlichte „Konzept zivile Verteidigung“ stellte dabei nicht nur detailliert vor, wie der Staat in einer Notsituation den Schutz der Bevölkerung gewährleistet. Man findet darin auch ganz konkrete Maßnahmen, mit denen sich die Bevölkerung selbst auf eine Notsituation, wie z.B. auf eine unterbrochene Versorgungslage im Fall eines Hochwassers, vorbereiten kann: https://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK/DE/Publikationen/Sonstiges/Konzeption_Zivile_Verteidigung_KZV.pdf?__blob=publicationFile.