Aufmerksame Leser dieser Kolumne oder auch Teilnehmer einer Besuchergruppe erinnern sich vielleicht noch daran, dass die einzelnen Liegenschaften des Bundestags unterirdisch durch ein Tunnelsystem verbunden sind. Jedes Mal, wenn ich beispielsweise von meinem Büro in den Plenarsaal möchte, kann ich einfach den Verbindungstunnel zwischen Jakob-Kaiser-Haus und Reichstagsgebäude durchqueren. Normalerweise. Denn momentan ist der Tunnel bis zum 7. November 2019 gesperrt, um dort eine für Passanten zugängliche Ausstellung und Gedenkstätte einzurichten.
Einen sichtbaren Hinweis darauf, warum beides genau an dieser Stelle geplant wird, findet man auf dem alternativen, oberirdischen Weg in Richtung Reichstagsgebäude. Direkt über dem Tunnel befindet sich, vor dem Reichstagsgebäude liegend, der Friedrich-Ebert-Platz, den eine breite, schwarze Linie durchschneidet. Sie markiert den Verlauf der Berliner Mauer, die zwischen 1961 und 1989 direkt neben dem Reichstagsgebäude Ost- und Westberlin trennte. Zum 30. Jahrestag der Friedlichen Revolution soll nun parallel dazu auch unterirdisch ein Teil des Verlaufs der Berliner Mauer neben dem Reichstagsgebäude nachgezeichnet werden. Damit wird künftig daran erinnert, dass die Verbindung zwischen Reichstagsgebäude und Jakob-Kaiser-Haus bei Weitem nicht so selbstverständlich ist, wie es den Anschein hat. Jedes Mal, wenn ich von meinem Büro in den Plenarsaal gehe, durchquere ich eben nicht nur einen Verbindungstunnel – sondern nebenbei auch die ehemalige Grenze zwischen Ost und West.
Gleichzeitig wird wieder deutlich, dass das Reichstagsgebäude immer auch ein Ort war, an dem sich die deutsche Geschichte in einzelnen Ereignissen brennglasartig kristallisierte. Während der Mauerbau und die Teilung zwischen West und Ost die Gebäudehistorie während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts prägten, markierte der Reichstagsbrand vom 27. auf den 28. Februar 1933 einen zentralen Schritt auf dem Weg zur nationalsozialistischen Diktatur. Die Behauptung einer kommunistischen Brandstiftung diente den Nationalsozialisten zur Legitimation der sogenannten „Reichstagsbrandverordnung“, welche die Bürgerrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft setzte und massive Verfolgungen von politischen Gegnern einläutete. Bis heute bleibt ungeklärt, wer den Reichstagsbrand letztlich zu verantworten hatte.
Die Verbindung zwischen Reichstag und Sitz des Reichstagspräsidenten durch einen Heizungstunnel lässt jedoch die Vermutung zu, dass die Nationalsozialisten selbst die Brandstifter waren: Vom Sitz des damaligen Reichstagspräsidenten Hermann Göring hätten die Verantwortlichen problemlos ins Reichstagsgebäude eingeschleust werden können. Heute erinnert ein Teil dieses ehemaligen Heizungstunnels in der unterirdischen Ausstellung an den Reichstagsbrand sowie die damit verbundenen Folgen. Durch die umgestaltete Ausstellung kann das Reichstagsgebäude in Zukunft sowohl oberirdisch als auch unterirdisch als mehrfacher Erinnerungs- und Gedenkort wahrgenommen werden.
Foto:
Dr. Alexander Mayer – Eigenes Werk
Berliner Mauer hinter dem Reichstagsgebäude, Demonstranten und Mauerspechte
CC BY-SA 3.0