Rede zur Erleichterung der Einbürgerung im Plenum vom 23.09.2016,
Antrag GRÜNE „Britische Staatsangehörige rasch und unkompliziert einbürgern“
191. Sitzung des Deutschen Bundestages
23.09.2016
Tagesordnungspunkt 9
a) Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Britische Staatsangehörige rasch und unkompliziert einbürgern
Drucksache 18/9669
b) Erste Beratung des von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Erleichterung der Einbürgerung und zur Ermöglichung der mehrfachen Staatsangehörigkeit
Drucksache 18/5631
VIDEOLINK: Bundestag.de/Mediathek
REDETEXT
-Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
(sehr geehrte Frau Präsidentin,)
meine Damen und Herren.
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Natürlich erkenne ich die lobenswerte Zielrichtung Ihres Antrages.
Sie wären nicht die GRÜNEN, und wir wären keine Sozialdemokraten, hätten wir im Rahmen der Brexit-Debatte nicht gerade auch das Los der Menschen im Auge, die von der unseligen Brexit-Entscheidung betroffen sind:
Nämlich diejenigen, die darauf vertraut haben, dass sie sich auf Dauer in Europa frei bewegen und niederlassen können.
Diejenigen, die darauf vertraut haben, dass sie ihr Leben als Europäerinnen und Europäer planen und leben können.
Von jetzt an gerechnet in etwa zwei Jahren hätte ich in diesem Hohen Haus Ihren Antrag gerne in ähnlicher Form unterstützt.
Aber heute, am 23. September 2016, ist Ihr Antrag Klamauk, Theaterdonner, Beschäftigungstherapie für Ihre Fraktionsmitarbeiter, für mich und mein Büro
Ihr Antrag ist außerdem handwerklich ungenau. Mit großer Geste schreiben Sie, die Bundesregierung solle darauf hinwirken, dass in Deutschland lebende britische Staatsangehörige rasch und unkompliziert eingebürgert werden, wenn sie es beantragen; dass britische Staatsangehörige auch bei einer Aufenthaltsdauer von weniger als sechs Jahren einbürgert werden, wenn sie die sonstigen Voraussetzungen für die Einbürgerung erfüllen. Weiterhin solle die Bundesregierung im Rahmen ihrer Informationspolitik verstärkt darauf aufmerksam machen, dass die Einbürgerung britischer Staatsangehöriger unter Beibehaltung der britischen Staatsangehörigkeit erfolgt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, selbst wenn wir diesen Antrag heute hier beschließen würden: Gut gemeint ist halt nicht gut gemacht. Nur Hinwirken und informieren würde bei einer so komplexen Materie eben nicht ausreichen. Es müssten klare rechtliche Regelungen her, die deutschem und EU-Recht und dem allgemeinen Gleichheitssatz genügen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der GRÜNEN, noch hat Großbritannien noch nicht einmal nach Art. 50 EUVertrag seinen Austritt aus der Europäischen Union angezeigt.
Wir stehen aber schon jetzt vor einem Berg von Fragen, die im kommenden Austrittsprozess geregelt werden müssen. Und dabei wissen wir ja noch nicht einmal, wann dieser mindestens zweijährige Prozess denn beginnen wird.
Sie wissen genau wie ich, dass erst in einem fortgeschrittenen Stadium der Verhandlungen endgültig gelöst werden kann, wie mit der Staatsangehörigkeit und Einbürgerung britischer Staatsbürger umzugehen ist, die schon bisher in anderen EU-Mitgliedstaaten lebten.
Sie wissen genau wie ich, dass die SPD natürlich alles dafür tun wird, hier menschliche, europäische Lösungen im besten Sinne zu finden, nämlich den hier lebenden Britinnen und Briten zu ermöglichen, auch weiter mit weitestgehenden Rechten (und Pflichten!) unter uns zu leben.
Wir würden gut daran tun, dieses Problem schon gleich zu Beginn der Verhandlungen auf den Tisch zu legen und möglichst früh zu lösen. Und zwar in dem Sinne eines fairen Deals: Wenn unsere Bürger in Großbritannien bleiben können, dürfen Britinnen und Briten auch bei uns bleiben.
Und Sie wissen genau wie ich, dass wir vor extrem komplizierten Verhandlungen stehen, in denen es darum gehen wird, Großbritannien möglichst eng an die EU und den Binnenmarkt zu binden, aber Großbritannien gleichzeitig auch Pflichten aufzuerlegen.
Man hat den Eindruck, dass manche britischen Regierungsvertreter bzw. Austrittsbefürworter momentan mit großen Kinderaugen erkennen, wie unendlich kompliziert der Austrittsprozess werden wird, wie schwierig es werden wird, die hochtrabenden Versprechen aus dem Referendumswahlkampf zu erfüllen.
Theresa May hat bisher nicht erkennen lassen, dass die britische Regierung schon eine grundsätzliche Strategie für die Austrittsverhandlungen gefunden hat.
Allerdings werden wir uns an dieser neuen „Eisernen Lady“ möglicherweise noch die Zähne ausbeißen.
Es ist gut und richtig, dass Deutschland und die EU sich jetzt noch nicht auf Vorverhandlungen einlassen wollen. Die EU wird das Vereinigte Königreich kommen lassen, denn:
Großbritannien muss sich darüber klarwerden, wie sein Verhältnis zur EU und zum Binnenmarkt sein soll. Großbritannien muss sich darüber klar werden, welchen Preis es bereit ist zu zahlen, dass es sich aus dem Geltungsbereich der Grundfreiheiten zurückzieht.
Die Personenfreizügigkeit als eine der vier Grundfreiheiten bildet eine der Säulen des Binnenmarktes der Europäischen Union. Nimmt man diese Säule weg, bricht das Gebäude Europäische Union, wie wir es kennen, zusammen.
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen aber Europa nicht nur als bessere Freihandelszone, wir wollen ein echtes, ein vereinigtes Europa!
Tun Sie uns also bitte den Gefallen und verschleudern Sie nicht Ihre parlamentarische Energie in Anträgen, von denen Sie wissen, dass sie das Problem nicht lösen.
Verschleudern Sie nicht Ihre Argumente, die sie noch dringend brauchen werden.
Sparen Sie sich Ihre Energie für die schwierigen Verhandlungen und Debatten, die noch kommen werden.
Denn Sie genau wie wir wollen doch ein Europa nicht nur mit offenen Grenzen, sondern ein Europa, in dem alle Europäerinnen und Europäer Tür an Tür leben können.
Lassen Sie uns in den kommenden Jahren dafür sorgen, dass Briten und übrige Europäer sich auch weiterhin möglichst ungehindert untereinander bewegen können, dass es weiter unser gemeinsames Europa bleibt.
Wir wollen kein kaltes Europa mit neuen Grenzen.
Wir wollen kein Europa, das sich nur über Zollfreiheit definiert.
Wir wollen kein Europa aus eifersüchtigen Einzelstaaten, die sich nur deswegen regelmäßig an einen Tisch setzen, um über Handelsquoten und Fördermittel zu feilschen.
Stichwort Eifersucht: Ja – Der Brexit ist schon wie eine Ehescheidung:
Wir sind enttäuscht, fühlen uns unverstanden, ja hintergangen.
Wir wissen, dass wir uns scheiden lassen werden, scheiden lassen müssen.
Aber der Scheidungsantrag ist noch nicht gestellt.
Trotzdem darf es nicht zu einem Rosenkrieg kommen, wir sollten also alles vermeiden, was den Scheidungsprozess beeinflussen, erschweren, vergiften könnte.
Es waren 43 gute Ehejahre, mit Höhen und Tiefen, und nicht ohne Konflikte – aber so ist das eben in einer Ehe. Und nun geht sie zu Ende, der Partner will sich trennen.
Aber wir haben noch immer Respekt vor dem Partner, und ja, wir schauen auch noch traurig und wehmütig auf die gemeinsamen Jahre zurück. Deswegen sollten wir uns so trennen, dass wir uns nach dieser Trennung in die Augen schauen und sagen können: „Ach komm, lass uns Freunde bleiben!“
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank!