Am Rande notiert: Das Reichstagspräsidentenpalais
Preisfrage: Wo isst der Müller in Berlin am liebsten Bratkartoffeln mit Spiegelei? Die Antwort lautet: weder in irgendwelchen Alt-Berliner Wirtshäusern, auch nicht in Prenzlauer Berg in Hipster-Restaurants in der Tofu-Quinoa-Variante (ist eh nicht so mein Ding, Hochwasserhosen und Oberlippenbart stehen mir nicht). Nein, am liebsten isst der Müller Bratkartoffeln mit Spiegelei in der Keller-„Kneipe“ der „Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft“ im ehemaligen Reichstagspräsidentenpalais. Es gibt zwar in der DPG ein sehr schönes Restaurant für das edle Abendessen mit wichtigen Gästen; aber im Keller, unter den Marmorsälen und den mit roten Läufern ausgelegten, stillen Korridoren und ehrwürdigen Bibliothekszimmern, gibt es auch eine ganz normale, urige Bierkneipe für das gepflegte Abendbier.
Das im Windschatten des Reichstagsgebäudes liegende ehemalige Reichstagspräsidentenpalais wird oft übersehen, ist aber mit seiner wechselvollen Geschichte nicht minder spannend. Reichstagsgebäude und Reichstagspräsidentenpalais umschließen den Friedrich-Ebert-Platz auf der Rückseite des Reichstagsgebäudes; hier fahren die Limousinen der Staatsgäste vor, die den Deutschen Bundestag besuchen.
In der Weimarer Republik residierten hier die Reichstagspräsidenten Paul Löbe (SPD), Max Wallraf (DNVP) und Hermann Göring (NSDAP). Während der deutschen Teilung lag das Gebäude auf DDR-Staatsgebiet und ab 1961 direkt an der Berliner Mauer, die quer über den Friedrich-Ebert-Platz zwischen Reichstag und Palais verlief. Es wurde in dieser Zeit unterschiedlich genutzt, unter anderem als Sitz des „VEB Deutsche Schallplatten“.
Heute ist das Reichstagspräsidentenpalais der Sitz der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft (DPG), einer überparteilichen Vereinigung von Abgeordneten des Deutschen Bundestages, der deutschen Landtage und des Europaparlaments. Zweck und Ziel der DPG ist es, die persönlichen Beziehungen der Abgeordneten der verschiedenen Parlamente über Parlaments- und Parteigrenzen hinweg zu fördern und so auch für ein besseres Verständnis für die unterschiedlichen politischen Positionen zu sorgen. Deswegen dient sie insbesondere während der Sitzungswochen des Deutschen Bundestages als Ort der Begegnung für alle Abgeordneten. Die DPG hat dabei eine schöne, weil sehr leise Tradition: Sie will die Kultur des Gesprächs fördern, das überparteiliche, respektvolle Zusammensein der Parlamentarier, aber dabei eben auch die Diskussion ermöglichen. Aber auch für Veranstaltungen und Empfänge vieler Art wird sie genutzt, z.B. von Landesgruppen oder Strömungen der Fraktionen, oder überfraktionellen Parlamentariergruppen.
Die DPG hat in jüngster Zeit eine gewisse Bekanntheit erlangt, und zwar als Ort der Verhandlungen über die sogenannte „Jamaika“-Koalition. Die Raucherpausen auf dem der Spree zugewandten Balkon, während unten die Pressemeute in der Kälte wartete, sind schon fast sprichwörtlich für die letztlich erfolglosen Verhandlungen geworden.
Aber um Missverständnisse zu vermeiden: Noch lieber als die Bratkartoffeln mit Spiegelei aus der DPG esse ich mein Leibgericht Kartoffeln, Ei und Spinat, und zwar zusammen mit meinem Team in der Mitarbeiterkantine des Deutschen Bundestages.