Am Rande notiert: der S-Bahnhof Friedrichstraße
Ich habe ja keine Zweitwohnung in Berlin, weil ich meine Übernachtungen in Berlin auf ein Mindestmaß reduzieren und nach der Sitzungswoche möglichst schnell wieder zurück nach Chemnitz fahren will. Deswegen übernachte ich immer in meinem „Stammhotel“ in Berlin-Mitte. Das erlaubt es mir, während der Sitzungswochen jeden Morgen einen kleinen Spaziergang ins Büro zu machen, vorbei am S-Bahnhof Friedrichstraße mit dem „Tränenpalast“ auf die großartige Kulisse des Reichstagsgebäudes mit den wehenden Fahnen zu.
Der S-Bahnhof Friedrichstraße ist für mich einer von vielen ganz besonderen Orten in Berlin.
In den 30er Jahren wurde der Bahnhof Friedrichstraße durch die Kreuzung der Ost-West- und Nord-Süd-Linien zu einem Zentrum des Berliner S-Bahn-Netzes.
Im Zweiten Weltkrieg wurde der S-Bahn-Verkehr hier erst am 21. April 1945, während der Schlacht um Berlin, vorläufig eingestellt, wobei sechs Tage vor Kriegsende, am 2. Mai 1945, der Nord-Süd-S-Bahn-Tunnel nach Sprengung einer Tunneldecke unter dem Landwehrkanal überflutet wurde.
Im Sommer 1945 musste eines der Ferngleise der Berliner Stadtbahn für kurze Zeit auf russische Breitspur umgespurt werden: Stalin kam per Sonderzug zur Potsdamer Konferenz.
Die Spaltung Berlins, ab dem 13. August 1961 durch die Errichtung der Berliner Mauer, war am Bahnhof Friedrichstraße ganz besonders spürbar. Ein aus heutiger Sicht unfassbar komplexes System von Sperren, Übergängen, Kontrollstellen und Fahrscheinen regelte den Verkehr (bzw. dessen Einschränkung) zwischen Ost und West.
Und offenbar hatten selbst schon die Grenzkontrollen oft fatale Folgen: Während der Kontrollen im Bahnhof Friedrichstraße verstarben in der Zeit der Berliner Mauer angeblich mindestens 227 Menschen eines natürlichen Todes, nämlich meist durch Herzinfarkte auf Grund von Stress.
Das eigens für die Grenzkontrollen errichtete Gebäude neben dem eigentlichen Bahnhof, im Volksmund der „Tränenpalast“ genannt, steht noch heute; „Tränenpalast“ deshalb, weil sich hier die West-Besucher vor der Rückreise von ihren DDR-Verwandten verabschieden mussten, auch die Ausreise von DDR-Bürgern in den Westen fand hier statt.
Heute ist der Bahnhof so lebendig und dreckig, wie Berliner Bahnhöfe nun einmal sind. Hier kaufe ich im Übrigen in den Sitzungswochen auch Kaffee fürs Büro (wenn ich nicht guten Chemnitzer Kaffee mitbringe) und Süßigkeiten als Nervennahrung. Und für die Jagd nach einer normalen Mahlzeit gibt es direkt gegenüber auf der anderen Spree-Seite die „Ständige Vertretung“ (lies: des Rheinlands), wo man in rheinisch-gemütlicher Atmosphäre ordentlich essen kann…
(Bild: Andreas Steinhoff)