Bevölkerungsschutzgesetz

Am 18. November 2020 haben wir im Deutschen Bundestag das 3. Bevölkerungsschutzgesetz verabschiedet. Im Vorfeld dazu gab es sehr viele E-Mails, Anrufe und Gespräche zur Rolle des Parlaments und zum Inhalt des Gesetzes.

Leider, und das muss ich so plump sagen, waren viele Nachrichten eine Mischung aus Fakten, Halbwahrheiten und falschen Behauptungen. Das Gesetz wurde sogar mit dem Ermächtigungsgesetz verglichen. Ein unerträglicher Vergleich! Dieser Vergleich ist ein Hohn für alle Opfer des Nationalsozialismus und dient einzig und allein der Verächtlichmachung unseres Rechtsstaates.

Zudem ist er inhaltlich falsch: Das Parlament macht den Landesregierungen mit dem 3. Bevölkerungsschutzgesetz strengere Vorgaben, als dies bislang der Fall war. Es handelt sich also eher um ein Begrenzungsgesetz. Auch hat das Parlament in den Verhandlungen auf eine Streichung des viel zu weiten § 5 Abs. 2 Nr. 3 IfSG gedrungen, der bislang dem Bundesgesundheitsminister weitreichende Befugnisse eingeräumt hatte. Die Befugnisse der Regierung werden also deutlich reduziert.

Ich kann und möchte mich hier nicht mit jeder Verschwörungstheorie auseinandersetzen. Vielmehr würde ich gerne auf die wesentlichen Punkte eingehen, um Ziel und Inhalt der Reform etwas besser einzuordnen und dabei auch einige Fragen, die in den letzten Tagen häufig gestellt worden, zu beantworten.

Was wird im 3. Bevölkerungsschutzgesetz geändert?
Ziel der Änderungen am Infektionsschutzgesetz ist es, einen effektiveren Grundrechtsschutz für die Bürgerinnen und Bürger, eine stärkere parlamentarische Kontrolle der Exekutive und mehr Rechtssicherheit im Corona-Krisenmanagement zu erreichen. Hierzu wird in dem 3. Bevölkerungsschutzgesetz in einem neuen § 28a das Infektionsschutzgesetz (IfSG) konkretisiert. Dieser Paragraph regelt, unter welchen Voraussetzungen welche Grundrechte wie lange und zu welchem Zweck im Zusammenhang eingeschränkt werden dürfen, sofern der Deutsche Bundestag zuvor das Vorliegen einer pandemische Notlage bestätigt. Bislang sah das Gesetz eine sehr weite Generalklausel vor. Dieser Spielraum wird nun durch den Deutschen Bundestag auf Drängen der SPD inhaltlich und prozessual eingeengt. Die Bundesregierung wird dem Bundestag gegenüber zudem verpflichtet, regelmäßig über die Entwicklung der Pandemie zu berichten.

Darüber hinaus werden Anpassungen im Infektionsschutzgesetz vorgenommen, um die Länder, die Gesundheitsämter, die Krankenhäuser oder die Pflege-, Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen bei der Bekämpfung der Pandemie weiter zu unterstützen. Vorbereitet wird außerdem der Start der Impfstrategie zum 16. Dezember, die Testkapazitäten werden erhöht, beispielsweise durch die Einbeziehung der veterinärmedizinischen Labore, zudem wird die Überwachung der Impfungen in den Impfzentren sichergestellt. Des Weiteren werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Krankenhäuser noch im Dezember weitere finanzielle Hilfe erhalten können. Das ist wichtig, weil Krankenhäuser zunehmend COVID-19-Patienten zu behandeln haben und dafür die notwendigen personellen und sachlichen Kapazitäten bereithalten müssen.

Durch welche Änderungen sollen die Grundrechte in der Pandemie geschützt werden?
Statt einer unbestimmten Generalklausel sieht der neue § 28a IfSG nun eine Auflistung von 17 konkreten Maßnahmen vor, die einzeln oder zusammen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 ergriffen werden können. Diese Maßnahmen wurden auf Grundlage der bisherigen Erfahrungen des Bundes und der Länder in der Virusbekämpfung ausgewählt (z.B. Anordnung eines Abstandsgebots im öffentlichen Raum, Verpflichtung zur Erstellung und Anwendung von Hygienekonzepten, Untersagungen und Beschränkungen von Sportveranstaltungen oder Schließungen oder Beschränkungen des Betriebs von gastronomischen Einrichtungen). Das Gesetz legt außerdem fest, welche Maßnahmen mit welcher Eingriffsschwere bei welchem Infektionsgeschehen von den Bundesländern getroffen werden können.

Hierdurch schaffen wir einen klareren Rechtsrahmen: Die Landesregierungen erhalten konkretere rechtliche Leitplanken, innerhalb derer sie sich bewegen dürfen. Dadurch wird das Corona-Krisenmanagement transparenter gestaltet. Besonders grundrechtssensible Bereiche wie die Religions- oder Versammlungsfreiheit können nur eingeschränkt werden, wenn eine wirksame Eindämmung des Corona-Virus auf andere Art nicht gewährleistet werden kann. Gleiches gilt für die Anordnung von Ausgangssperren (nach denen das Verlassen der Wohnung nur zu bestimmten Zeiten oder zu bestimmten Zwecken zulässig wäre) oder Besuchsverbote in Einrichtungen wie Alten- und Pflegeheimen oder Krankenhäusern.

Das heißt, dass jedwede Maßnahme nur dann ergriffen werden darf, wenn kein milderes Mittel erfolgsversprechend ist. Die Schutzmaßnahmen dürfen nicht zur vollständigen Isolation von einzelnen Personen oder Gruppen führen. Ein Mindestmaß an sozialen Kontakten muss immer gewährleistet bleiben. Außerdem wird klargestellt, dass die Länder bei Entscheidungen über Schutzmaßnahmen auch soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen auf den Einzelnen und die Allgemeinheit zu berücksichtigen haben. Damit wird der Verordnungsgeber zu einer strikten Wahrung der Verhältnismäßigkeit gezwungen.

Detailliert regeln wir auch die Kontaktdatenerhebung: Hier gibt der Bundestag den Landesregierungen vor, dass Daten nur zum Zwecke der Nachverfolgung erhoben werden dürfen und diese spätestens vier Wochen nach Erhebung zu löschen sind.

Eine Verbesserung des Grundrechtsschutzes wird auch durch neue Verfahrensvorschriften erreicht. So müssen die Rechtsverordnungen der Länder, mit denen Corona-Schutzmaßnahmen angeordnet werden, in Zukunft begründet werden. Dies hat nicht nur den großen Vorteil, dass alle Bürgerinnen und Bürger die Erwägungsgründe besser nachvollziehen können. Es führt auch dazu, dass die jeweilige Landesregierung bei Erlass der Verordnung die Erforderlichkeit der Maßnahmen nochmals eingehend prüfen muss.

Die Maßnahmen sind in Zukunft auch grundsätzlich auf zunächst vier Wochen zu befristen und können nur mit einer erneuten Entscheidung der Landesregierung verlängert werden. Befristungen lösen einen neuen Handlungs- und politischen Rechtfertigungsbedarf bei Gesetz- und Verordnungsgeber aus und frischen damit die Legitimation der getroffenen Maßnahmen auf.

Diese Verbesserungen des Grundrechtsschutzes sind entscheidend auf die Initiative der SPD zurückzuführen.

Wie wird eine stärkere Rolle des Bundestages sichergestellt?
Durch den Beschluss des 3. Bevölkerungsschutzgesetzes gibt der Bundestag den Landesregierungen konkretere rechtliche Leitplanken vor. Zukünftig muss die Bundesregierung den Bundestag regelmäßig über die Entwicklung der epidemischen Lage unterrichten – das ist zwar auch bisher in der Coronapandemie in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages passiert, wird nun aber mit einer rechtlichen Verpflichtung unterlegt. Denn nur ein informiertes Parlament kann kritische Fragen stellen, konkretere Position beziehen und wenn nötig die Bundesregierung zu einem bestimmten Handeln auffordern oder sogar Entscheidungen der Bundesregierung per Gesetz zurückholen.

Es wird auch behauptet, dass alle Corona-Maßnahmen seit März 2020 verfassungswidrig gewesen seien, stimmt das?
Nein. Die Rechtsprechung hat bestätigt, dass zu einer Zeit, in der über Art und Ausmaß der Gefährlichkeit von COVID-19 sowie über die zu ihrer Abwehr ergreifenden Maßnahmen Unklarheit herrscht, zur effektiven Gefahrenabwehr Schutzmaßnahmen zunächst auch auf eine Generalklausel gestützt werden können.

Eine solche Generalklausel zum Infektionsschutz war in § 28 IfSG geregelt. Hier hatte der Bundesgesetzgeber bewusst eine offene Formulierung gewählt, um den Infektionsschutzbehörden insbesondere bei einem dynamischen Infektionsgeschehen ein möglichst breites Spektrum geeigneter Maßnahmen zu ermöglichen. Dass § 28 IfSG bislang eine taugliche Rechtsgrundlage war, haben mehrere Oberverwaltungsgerichte bestätigt.

Weil sich jetzt aber abzeichnet, dass die Eingriffe kein kurzfristiges Provisorium mehr darstellen, sondern möglicherweise länger andauern, ist es verfassungsrechtlich notwendig, das Corona-Krisenmanagement auf eine konkretere gesetzliche Grundlage zu stellen, die Vorgaben macht und Grenzen zieht. Dieser Zeitpunkt kam für uns in dem Moment, in dem absehbar war, dass es eine zweite Infektionswelle gibt.

Stimmt es, dass die Maßnahmen auf Dauer angelegt sind?
Nein. Die Möglichkeit, Schutzmaßnahmen nach § 28a IfSG zu ergreifen, ist an die Feststellung der epidemischen Lage nationaler Tragweite durch den Deutschen Bundestag gekoppelt. Diese ist zunächst befristet bis zum 31.03.2021.

Durch eine Änderung im 3. Bevölkerungsschutzgesetz wird für die epidemische Lage nationaler Tragweite nun zudem eine Definition eingefügt, sodass der Bundestag eine weitere Feststellung des Fortbestehens der Lage nur vornehmen kann, wenn entweder die WHO weiterhin eine Pandemie ausgerufen hat oder eine dynamische Ausbreitung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit über mehrere Länder in Deutschland stattfindet. Das Vorliegen dieser Parameter ist rechtlich überprüfbar. Entgegen vieler Behauptungen in den sozialen Medien würde dieses Kriterium auch keine „Schnupfen“-Pandemie erfüllen. Vielmehr ist in § 2 Abs. 3a IfSG als bedrohliche übertragbare Krankheit eine übertragbare Krankheit zu verstehen, die auf Grund klinisch schwerer Verlaufsformen oder ihrer Ausbreitungsweise eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit verursachen kann. Eine von einer Pandemie losgelöste Grundrechtsbeeinträchtigung kann es darum nicht geben.

Außerdem schreiben wir – wie schon ausgeführt – den Landesregierungen vor, dass deren Rechtsverordnungen nur befristet erlassen werden dürfen.

Stimmt es, dass es eine Impfpflicht geben soll?
Nein. Eine Impfpflicht wird im 3. Bevölkerungsschutzgesetz nicht geregelt und ergibt sich auch nicht mittelbar aus dem Gesetz. Richtig ist, dass die Bundesregierung in § 36 Abs. 10 IfSG eine Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung erhält, in der Personen, die in die Bundesrepublik Deutschland einreisen wollen oder eingereist sind und die einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt waren, zur Vorlage einer Impfdokumentation verpflichtet werden können. Das heißt aber nicht, dass ungeimpfte Personen, beispielsweise Deutsche, die in Risikogebieten Urlaub machen wollen oder gemacht haben, nicht wieder einreisen dürften, ohne sich „zwangsimpfen“ zu lassen. Für diese Einreisenden gelten dann aber weiter die Sicherheitsbestimmungen wie Quarantäne und Testpflicht. Das gilt für Menschen, die über eine Schutzimpfung verfügen, dann selbstverständlich nicht. Voraussichtlich ab Dezember wird in Deutschland ein SARS-CoV-2-Impfstoff zunächst in begrenztem Umfang zur Verfügung stehen, auf den dann, in einem ersten Schritt für bestimme Bevölkerungsgruppen, ein Anspruch besteht. Durchgeführte Impfungen müssen, wie alle anderen Schutzimpfungen auch, gemäß § 22 IfSG in den Unterlagen des impfenden Arztes und in einem persönlichen Dokument dokumentiert werden (Impfausweis, Impfbescheinigung, Impfzertifikat, Impfpass, certificate of vaccination, immunization card, vaccination card). Bei Einreise muss das zuständige Gesundheitsamt Klarheit darüber haben, ob die eingereiste Person über einen Impfschutz verfügt oder nicht. Das Gesundheitsamt muss ja auch wissen, ob die Person getestet worden ist oder nicht. Davon hängen gegebenenfalls notwendige Schutzmaßnahmen ab. Sollte die Bundesregierung eine entsprechende Rechtsverordnung erlassen, wäre diese zudem an das Fortbestehen der epidemischen Lage von nationaler Tragweite in § 5 IfSG geknüpft und würde außer Kraft treten, wenn die Lage nicht mehr besteht.

Um es nochmal ganz klar zu sagen:

Mit dem 3. Bevölkerungsschutzgesetz wird ein Anspruch auf die Schutzimpfung geregelt. Eine Impfpflicht ergibt sich hieraus nicht. Eine Impfpflicht stand und steht nicht zur Debatte, eine solche will niemand.

Stimmt es, dass mit dem 3. Bevölkerungsschutzgesetz der Einsatz der Bundeswehr im Innern geregelt wird?
Nein. Auch im bisher geltenden Infektionsschutzgesetz gab es die angesprochene Vorschrift, § 54 a IfSG „Vollzug durch die Bundeswehr“, bereits. Hier geht es nicht darum, dass die „Bundeswehr im Rahmen einer Pandemie in Deutschland gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt“ werden soll. Die Vorschrift richtet sich ausschließlich nach innen, in die Bundeswehr hinein. Zweck der Vorschrift ist es, den Infektionsschutz von Soldatinnen und Soldaten zu gewährleisten. Für den Infektionsschutz der Soldatinnen und Soldaten sind nicht die öffentlichen Gesundheitsämter zuständig, sondern sondern die Bundeswehr selbst. Die Anpassung des § 54a IfSG war notwendig, um Zuständigkeitsfragen innerhalb der Bundeswehr – z.B. im Zusammenhang mit landkreisübergreifenden Übungen sowie für Angehörige ausländischer Streitkräfte und für Soldatinnen und Soldaten außerhalb ihrer Dienstausübung – zu klären. Die Regelungen dienen dazu, die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr auch während einer Pandemie aufrechtzuhalten. Die Besonderheiten des militärischen Auftrages erfordern besondere Maßnahmen  (z.B. Quarantäne vor oder nach einem Auslandseinsatz), die von den zuständigen Stellen der Bundeswehr mit den öffentlichen Gesundheitsbehörden abgestimmt werden müssen.