Rede zum Gedenken an den 17. Juni 1953 in Chemnitz
Sehr geehrte Mitglieder der Vereinigung der Opfer des Stalinismus,
sehr geehrter Herr Thierfeld, liebe Chemnitzerinnen und Chemnitzer,
es ist mir eine besondere Ehre, heute als Vertreter der SPD-Stadtratsfraktion zu Ihnen sprechen zu dürfen. Der 17. Juni 1953 ist und bleibt ein besonderer Tag in der deutschen Geschichte. Ein Tag, an dem die angeblich „demokratische“ deutsche Republik – die sich diesen Namen zu ihrer Gründung 1949 selbst gegeben hatte – erstmalig öffentlich ihr wahres Gesicht zeigte. Mit der Niederschlagung der Proteste reagierte die SED-Diktatur auf den immer stärker werdenden Unmut der DDR-Bevölkerung über Arbeitsbedingungen und Lebensverhältnisse im Osten Deutschlands. Und sie ging dabei keineswegs zimperlich vor:
Viele der Menschen, die am 17. Juni und den darauf folgenden Tagen auf die Straßen gingen, bezahlten dafür mit ihrer Gesundheit, ihrer Freiheit, einige von ihnen sogar mit ihrem Leben. Doch was hatten diese Menschen verbrochen, dass sie derart bestraft wurden? Sie haben von ihrem Recht auf öffentliche Meinungsäußerung – ihrem Demonstrationsrecht – Gebrauch gemacht. Nicht mehr und nicht weniger. Doch solche Demonstrationen waren in der DDR nicht erwünscht, 1953 nicht und auch nicht in den Folgejahren bis zur Wende. Demonstriert werden durfte oder besser gesagt sollte schon – aber nur auf Geheiß und im Sinne der Partei- und Staatsführung. Es mag uns heute selbstverständlich erscheinen, dass Menschen aus freien Stücken auf die Straße gehen, ihre Meinung frei äußern und für ihre Überzeugungen demonstrieren können. Aber eine Selbstverständlichkeit ist dieses Recht nicht. Es ist ein Grundrecht und eine Errungenschaft unserer demokratischen Gesellschaft, die es in der „sozialistischen Gesellschaft der DDR“ niemals gab und die es für unsere Kinder und Enkel zu bewahren gilt. 1953 und in den darauf folgenden Jahren bis 1989 war daran nicht zu denken. Oftmals genügte der bloße Verdacht, damit man ins Visier der „Sicherheitsorgane“ des SED-Staates geriet und schlimme Repressalien erleiden musste. Das Kaßberggefängnis mit seiner wechselvollen Geschichte ist dafür nur ein Beispiel. Wer negativ auffiel, geriet hier in die Fänge der Staatsmacht – ohne eine wirkliche Chance auf einen rechtsstaatlichen Prozess oder eine faire Verteidigung.
Liebe Mitglieder des VOS, liebe Gäste,
Im Gegensatz zu 1953 brauche ich heute keine Angst zu haben, wenn ich meine Meinung in der Öffentlichkeit frei äußern möchte. Ich muss mich nicht vor willkürlichen Verhaftungen, grausamen Verhörmethoden, jahrelanger Einkerkerung unter unmenschlichen Bedingungen oder im schlimmsten Fall um mein Leben fürchten! Das sind Dinge, die Sie – die Zeitzeugen des 17. Juni 1953 – als Strafe für ihren Mut und ihren persönlichen Einsatz erleben mussten. Eine Strafe einzig und allein dafür, dass sie von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht und für bessere Lebensverhältnisse in der DDR gekämpft haben. Für diesen Mut gebühren Ihnen allen unser Respekt und unsere Anerkennung! Unsere gemeinsame Verantwortung ist es, dass der 17. Juni 1953 und die Lehren, die wir aus diesem wichtigen und leidvollen Tag ziehen können, im Gedächtnis unserer Gesellschaft und vor allem für die nachfolgenden Generationen fest verankert bleiben!
In diesem Sinne wollen wir heute der Opfer der SED-Diktatur gemeinsam gedenken.